noch einen Schemel, noch einen Sitzplatz an irgendeinem Tische erhielt und weit mehr Häftlinge in den Tagesräumen herumstanden als saßen, in dieser Judenbaracke waren die Verhältnisse noch weit schlimmer.

Im Tagesraum standen die Häftlinge zusammengepfercht, wie in einer überfüllten Straßenbahn. Um nach dem Tisch des Stubenältesten zu ge­langen, mußte ich mich buchstäblich durch das Gedränge der Häft­linge zwängen. Es war eine unglaublich muffige, schlechte, verbrauchte Luft in dem Raum, eine Luft, die so ,, dick" war, daß die elektrischen Glühlampen wie von einem leichten Nebel umhüllt waren. Einige Juden hatten sich aus dem Gedränge zurückgezogen und sich oben unterhalb der Decke auf dem Quergebälk der Baracke ,, eingerichtet". Da saßen sie wie die Hühner auf den Latten, verzehrten ihr Brot, schmökerten in zerfetzten Büchern oder flaxten sich gegenseitig an. Einer hatte sich in einen dunklen Deckenwinkel verkrochen und schlen­kerte im Takt mit den Beinen. Als ich an ihm vorbeikam, sah ich, daß er Mundharmonika spielte, aber trotzdem ich keine drei Meter von ihm entfernt war, hörte ich nichts von seinem Spiel, denn die ,, Unterhaltung" der vier- bis fünfhundert Juden, die in diesem nor­malerweise für 60 Häftlinge eingerichteten Raum hausten, war wie das Geräusch einer Rotationsmaschine im Maschinensaal einer Zeitung. Ein Jude, der es mir offenbar ansah, daß ich ein Zugang war und diesen Betrieb zum ersten Male sah, rief mir marktschreierisch mit sarkastisch belustigtem Tonfall von seinem Balkonplatz zu: ,, Hier siehst du das auserwählte Volk, mein Freund! Wie es leibt und lebt, in Freud und Leid. Die Ebenbilder Gottes in Reinkultur. Komm rauf zu mir, du lachst dich tot, wenn du den Haufen aus der Hühnerperspektive siehst, und brauchst dann nicht mehr mitzumachen, und das ist bestimmt das beste für dich!" Ich rief ihm zu: Warum hast du dich denn noch nicht totgelacht, wenn das das beste ist?" ,, Ach", sagte er und hob dabei wie ein lehrender Rabbi den rechten Zeigefinger, ich bin ja kein Goi wie du, ich gehöre mit zur Mischpoche, ich darf nur über meinesgleichen und über mich selbst lachen, da reicht das Gelächter nicht aus, und das Totweinen ist hier verboten."

دو

Wenige Schritte weiter sah ich, wie sich zwei, drei Häftlinge um einen Kameraden bemühten, der offenbar in Ohnmacht gefallen oder schwer krank war. Alle übrigen Häftlinge nahmen aber nicht die geringste Notiz davon. Ich wußte noch nicht, daß ich nach wenigen Wochen schon genau so stoisch ruhig sein würde, wenn sich neben mir das Schick­sal eines Kameraden erfüllte.

Ich hatte mich schließlich bis an den Tisch des Stubenältesten durch­

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