ihr habt doch immer wieder die Öffnung der deutschen Konzentrations- lager gefordert!

Bei dieserAktion war auch der Häftling X. mitdurch die Latten gegangen. X. aber war in der Zwischenzeit etwas verändert worden, und als er bei seinen Nazieltern in Königsberg eintraf, da schlugen die lieben Menschen die Hände über den Kopf zusammen. Sie waren Nazis, sie waren nicht irgendwer. Sie hatten auch Einfluß, Einfluß bis in die Stapo- leitstelle Königsberg . Und die Stapoleitstelle Königsberg ersuchte um Aufklärung bei der Lagerleitung. Und die Lagerleitung schickte die An- frage dem Lagerarzt zur Stellungnahme. Und der Lagerarzt befahl seinem Häftlingsschreiber, die Akten herauszusuchen. Der aber, der Letzte dieses langen mehr oder weniger offiziellen oder ratsamen In- stanzenweges, der war ich.

Und nun las ich schwarz auf weiß, daß X. im Lager gewesen war, weil er sich angeblich arbeitsscheu gezeigt habe. Im Alter von siebzehn Jahren hatte er eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten(!) wegen Vornahme von unzüchtigen Handlungen an vierzehnjährigen Mädchen verbüßt. Er war bereits achtzehn Jahre alt, als er aus dem Gefängnis kam. Ist es nicht verständlich, daß sich dieser junge Mensch vor der ganzen Welt schämte, als er wieder unter freien Menschen leben mußte? Ist es schwer zu erraten, daß dieser Mensch die Arbeit mied, weil er annahm, daß ihm jeder von der Stirne ablesen müßte, was für ein Missetäter er gewesen war? K I

Aber die Antworten auf solche Fragen stehen auf einem anderen Blatt. Und das Blatt, das im KZ. Buchenwald aufgeschlagen war, hieß: Hiermit beantrage ich freiwillig meine Entmannung, um von meinem perversen Geschlechtstrieb befreit zu werden. Ich glaube, X. wußte gar nicht einmal, was perverser Geschlechtstrieb heißt. Aber er unterschrieb, ob mit oder ohne Folter, ich weiß es nicht, und Dr. Kirchhoff war Chirurg

Dr. Ding wimmelte sich denprekären Fall vom Hals, indem er die Anfrage zur Erledigung an den inzwischen anderweitig eingesetzten Dr. Kirchhoff weiterleitete. Den Ausgang der Sache habe ich nicht er- fahren.

Auch der Häftling Y. aus Troppau war einSchwarzer. Er war ein so unbedeutender, harmloser Mensch, daß er sicherlich in Buchenwald nie aufgefallen wäre, hätte er nicht in dem politischen Fragebogen selbst mit ungelenker Hand vermerkt, daß er wohl an die fünfzig Vorstrafen habe, aber sie im einzelnen nicht mehr angeben könnte.

Was? Fünfzig Vorstrafen? Das muß ja ein ganz besonderer Vogel

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