mellitus" zu schreiben, ich solle mir die Aufzeichnungen einmal ansehen und wenn möglich vervollständigen.
Ich erfuhr dann, daß die Aufzeichnungen von einem jüdischen Arzt aus Wien namens Perth angefertigt worden waren. Ding ließ trotz des ausdrücklichen Verbotes, daß Ärzte als Häftlingspfleger im Revier beschäftigt werden durften, diesen Arzt und zwei andere jüdische Ärzte im Revier praktizieren, um seine höchst mangelhafte Ausbildung zu vervollkommnen. Und diese drei Ärzte verstanden es in meisterhafter Weise, die unwissenden Schüler zu markieren und doch dabei den ,, Lehrer" zu belehren.
Als im Zusammenhang mit den Masseneinlieferungen nach dem Judenprogrom im Jahre 1938 ungewöhnlich viele Coma- Fälle auftraten und Dings Interesse dadurch auf die Zuckerharnruhr gelenkt wurde, hatte Perth ihn aufmerksam gemacht, daß das Lager ausgezeichnetes Untersuchungsmaterial zur Erforschung der Erblichkeit dieser Krankheit bieten müßte. Erstens sei das Lager aus allen Teilen Deutschlands beschickt und damit das Untersuchungsmaterial eines großen Landstriches auf engstem Raum zusammengedrückt. Zweitens beschränkten sich die gewöhnlichen Forschungen fast nur auf Krankenhausfeststellungen, während hier jeder Häftling, in dessen Familie oder Verwandtschaft Diabetes mellitus aufgetreten sei, zur Untersuchung herangezogen werden könne. Drittens sei es doch bekannt, wie unzuverlässig manchmal wissenschaftliche Forschungsergebnisse des Arztes dadurch werden, daß der Arzt kein Druckmittel in der Hand hat, den Patienten zur restlosen Angabe aller wichtigen Dinge zu veranlassen. Wie anders sei das aber hier im Lager!
Diese drei Gründe leuchteten Ding ein, und er ließ von Perth und anderen jüdischen Ärzten das erste Material zusammentragen. Es häufte sich bald ein Aktenberg, zumal nur ein kleiner Schreibebrief des Lagerarztes an die Angehörigen der Lagerinsassen erforderlich war, um von dieser Seite Fotos, Angaben und Unterlagen in Fülle zu erhalten. Jeder draußen war der irrigen Meinung, daß er so seinem Angehörigen im Lager vielleicht etwas helfen könne.
Die Stammbäume wurden gezeichnet, um die Streitfrage nach dominantem oder rezessivem Erbgang zu klären, Fotos wurden eingeklebt, Angaben aller Art festgehalten. Ich arbeitete mich in das Material hinein und war bald so weit, daß ich es beherrschte. Ding besorgte alle einschlägige Literatur, die er von Jena und Leipzig über Diabetes mellitus erhalten konnte. Ich arbeitete die Literatur durch, verkartete ihre wichtigsten Ergebnisse, legte einen Literaturnachweis an, brachte immer
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