ZWEITER TEIL

Ich war erst kurze Zeit als Arztschreiber im Häftlingsrevier und hätte auf die Frage, ob dem Lagerarzt Dr. med. Erwin Ding ein Mord an einem Häftling zuzutrauen wäre, einen Eid geschworen, daß das nicht der Fall sei. Da erhielt mein Herz den ersten belehrenden Keulenschlag.

Dr. Ding war ein hochintelligenter Mensch von besten Umgangs­formen, konziliant in seinem äußeren Wesen, freundlich, manchmal geradezu gutmütig. Seine Gesichtszüge waren eher weich als streng, seine Augen lebhaft und scharf beobachtend. Er war vor allem ungewöhnlich selbstsicher, und ich habe mich immer wieder gewundert, daß er sogar in den verfahrensten Situationen stets noch einen Ausweg wußte.

Wie manchesmal hat mein Blick, wenn er vor mir vor seinem Schreib­tisch saß und die von mir angefertigten Schriftstücke durchlas, auf seiner hohen, edelgeformten Stirn, auf der schönen und doch nicht weich­lichen, sondern durchaus charaktervollen Nasenlinie, auf seinen eben­mäßigen, männlich schönen Gesichtszügen geruht! Und wie manches­mal hat mein Geist dabei das Rätsel zergrübelt, das mir dieser Mensch mit seinen hochqualitativen Anlagen und seinen verabscheuungswür­digen Verbrechen auferlegte.

Es ist hier nicht meine Aufgabe, den Roman dieses Menschen zu schreiben, so reizvoll und aufschlußreich für die letzte geistige Durch­dringung des Nazismus auch ein solches Werk sein könnte, ich kann hier nur skizzenhaft andeuten, wer Ding war, und muß es dem Leser überlassen, den psychologischen Abgründen nachzusinnen, die aus diesem Menschen trotz prächtigster Veranlagung einen Scharlatan und Mörder machen konnten.

Ding war der Sohn des Arztes und Afrikaforschers von Schuler, der mit einer Dessauer Kontoristin in einem lockeren Konkubinat gelebt hatte, aus dem drei Söhne hervorgegangen waren. Von Schuler hat zweifellos vorgehabt, die drei Söhne zu adoptieren, seine Verwandtschaft bereitete ihm jedoch große Schwierigkeiten, und über die Durchführung der Adoption verstarb er. Die Mutter kämpfte um das Recht ihrer Kinder,

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