Ehrfurcht beugte, der Name des Nathan- Dichters Gotthold Ephraim Lessing , ist beim Volke der Dichter und Denker verfemt, unbekannt, verachtet!

Und auch mir persönlich ist die Sonne mit düsteren Wolken ver­hangen. Ich weiß, ich stehe vor einem Tor, über dessen Bogen Dantes Worte mit Flammenschrift unsichtbar sichtbar eingemeißelt stehen: Ihr, die ihr eintretet, laßt alle Hoffnung fahren!

Ich weiß es, aber ich weiß im einzelnen nicht, was meiner erwartet. Schutzhaft, Umschulungslager, KZ.! Zwar sind grauenhafte, schier un­glaubliche Dinge von dort durchgesickert, und ich bin auch politisch geschult genug, um zu wissen, daß das Unglaubhafte doch wahr sein kann, wahr ist. Aber nun stehe ich selbst davor. Nun werde ich mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören, an eigenem Leibe spüren, was nationalsozialistisches Konzentrationslager ist.

Habe ich nicht schon tausendmal in meinem Leben den gewaltigen Unterschied zwischen geistigem Erfassen und persönlichem Erleben emp­funden? Damals z. B., als ich zum ersten Male den gestirnten Himmel über mir mit dem Fernrohr in der Sternwarte abtastete? Damals als sich mir das Wunder der Natur in seiner grenzenlosen Problematik zum ersten Male unter dem Mikroskop enthüllte? Als ich am Rande des Vesuvs das Herz der Erde majestätisch pochen fühlte? Als ich in der Chiesa del Vincoli vor Michelangelos gigantischem ,, Moses" stand? Wie war es doch gleich damals mit dem ,, Jüngsten Gericht" gewesen? Hatte ich nicht schon eine tief erschütternde Vorstellung von diesem Gemälde in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans gehabt? Hatte ich nicht schon zahllose Abbildungen, viele Berichte, ans Herz rührende Meditationen. über dieses Kunstwerk kennengelernt, so daß ich wohl sagen konnte, ich kenne es in allen Einzelheiten? Und dann, als ich vor dem Bilde stand und mir alles bestätigt wurde, was ich bis dahin wußte, da war doch noch etwas ganz Neues da: etwas Urgewaltiges, das Fluidum der Urnatur, das Wirken des Erdgeistes am lebendigen Kleide der Gottheit, den Goethe zu seinem Faust sagen läßt: ,, Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!", mit einem unzulänglichen Wort: das persönliche Erleben!

O

Fünf Tage sind wir unterwegs, immer zahlreicher werden im Laufe dieser Zeit die Schicksalsgefährten, die aus allen Himmelsrichtungen zu uns stoßen, um mit uns den Weg nach Weimar zu gehen.

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Im Polizeigefängnis Halle treffen wir auf einen Leidensgenossen, der