das deutsche Volk am Boden, elend und krank, ver­armt und niedergebrochen, entehrt und enttäuscht. Jeder Rückfall in eine schwere Krankheit vervielfacht ihre Symptome und bedroht das Leben des Patienten. In drei Jahrzehnten mit allen Methoden des politischen Lebens behandelt, lehnt der Kranke zunächst alle Me­dizin ab und vegetiert in einem nationalen und poli­tischen Dämmerzustand dahin. Das ist die gegenwär­tige Verfassung eines Volkes, das trotz allem zweifel­los zu den wertvollsten Völkern gehört, die unser Planet beherbergt. Weil dem so ist, kam es in Ver­suchung, sich über alle anderen erheben zu wollen. Weil dem so ist, ist die Tragik auch um so größer, die über Deutschland hereingebrochen ist.

Die Frage nach der Schuld an seinem tiefen Sturze wird innerhalb des deutschen Volkes immer von neuem aufgeworfen werden. Alle gegenwärtigen Urteile grei­fen jedoch der Geschichtsschreibung vor, die nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu erforschen hat. Wir sind den Ereignissen noch viel zu nah, um uns schon jetzt zur Höhe einer rein historischen Be­trachtung und damit zur historischen Wahrheit er­heben zu können. Außer allem Zweifel steht indessen schon heute die ungeheuerliche Schuld des Faschismus. Weil das deutsche Volk sich dem Faschismus ver­schrieben und nicht die Kraft aufgebracht hatte, sich rechtzeitig von ihm zu lösen, als der Weg zur Kata­strophe für jeden erkennbar war, ist es an dem eigenen Unglück und an dem Unheil, das der Krieg anderen Völkern zugefügt hat, selbst und allein schuld. ,, Keine Wiederholung von 1918!" Das war eine der dümmsten nationalistischen Phrasen. Man ließ es zu, daß die Warner ins Konzentrationslager kamen oder an den Galgen geknüpft wurden und beschwor damit die Tra­

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