kündigen. In der Rolle eines asiatischen Despoten fühlte sich unser Blockgewaltiger überhaupt sehr wohl. Mehrere Male konnte er am Tage die Kleidung wech­seln, die ihm aus jüdischen Beständen offenbar reich­lich zu Gebote stand. Täglich ließ er sich von einem Häftling rasieren, wobei er gravitätisch im Stuhle lehnte, sich mit wohlriechenden Wässern abwaschen, einpudern und abfächeln. Bei aller Brutalität war der Kerl von einer wirklich weibischen Eitelkeit. Unter den Juden befanden sich einige ausgezeichnete Geigenspieler. Aus ihnen bildete unser Schah gewisser­maßen eine Hofkapelle. Häufig mußten sie vor ihm spielen, aber er konnte auch großmütig sein und den Gefangenen gleichfalls den Genuß der Musik gönnen. Wenn wir abends schon im ersten Schlummer lagen, ließ er manchmal auf der Schwelle zwischen Tages­und Schlafraum die Musikanten zum Spiel antreten. Wehmütige Weisen ertönten dann über das nüchterne hölzerne Gitterwerk der Bettgestelle, in denen die Häft­linge, Christen neben Juden, Deutsche neben Auslän­dern, zusammengepfercht lagen. Musik ist wohl die intimste und zugleich stärkste Leistung menschlicher Kunstbetätigung. Sie ist ein göttlicher Anruf der mensch­lichen Seele von unberechenbarer und grenzenloser Wirkung. Sie kann Wunden heilen und aufreißen, sie bringt uns zum Weinen und zum Lachen, sie lockt uns zum kindlichen Spiel und zu heldischer Tat, sie stimmt uns zu befreiender Glückseligkeit und zu zerknirschter Reue. Wie immer auch ihre Wirkung im einzelnen ist, im ganzen weckt sie in unserem Innern eine un­bändige Sehnsucht nach der Heimat unserer Seele, nach Vereinigung mit Gott im Zeichen einer vollendeten Harmonie. Auch die Poesie, gut vorgetragen, ist im Grunde nur gesprochene Musik. Darum wirken nach

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