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die sich an diesem Tage im Zusammenhang mit der Er­mordung des Gesandtschaftsbeamten vom Rath ereigne­ten, kurz aber drastisch als ,, Schillers Geburtstag" setzte der totale Vernichtungskrieg gegen die Juden ein. Die beiden Eltern meines neuen Kameraden sind in diesem Kriege umgekommen. Ich konnte ihm über das Schicksal einzelner jüdischer Familien in Berlin Auskunft geben, auch über das Gesamtschicksal der Juden dieser Stadt. Das meiste wußte er schon, er hatte jede Hoffnung auf Erhaltung seines Lebens und allen Glauben an die Zukunft verloren. Dabei zeigte er Hal­tung und eine große Sehnsucht nach seiner Frau. Kin­der hatte das Ehepaar nicht. Ich versuchte, ihn zu trösten und aufzurichten, aber er erzählte mir die grauenvollsten Geschichten aus Theresienstadt, aus Auschwitz , und aus dem berüchtigten Vernichtungsla­

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bei Krakau . Zum zweiten Male in meinem Leben vernahm ich diese Schilderung, die sich wie eine Per­version der Hölle anhört. Zum ersten Male hatte ich sie vor zwei Jahren vernommen aus dem Munde einer Dame, über deren Glaubwürdigkeit es keinen Zweifel geben konnte. Sie war die Gattin eines SS- Arztes, der hin und wieder in dem Lager bei Krakau dienstlich zu tun hatte. 1942 hatte er seine Frau einige Wochen nach Krakau kommen lassen. Nach ihrer Rückkehr erzählte sie mir von dem Treiben in der Stadt und von dem berüchtigten Lager, von dem ich bis dahin noch nichts gehört hatte. Ich wiederhole das Gespräch mit ihr aus dem Gedächtnis:

,, Ja, wissen Sie denn nicht, Herr Roßmann, daß dort das größte Vernichtungslager Europas aufgebaut ist!?" ,, Nein", entgegnete ich ,,, woher soll ich das wissen? Was ist denn ein Vernichtungslager?"

,, Da kommen täglich Eisenbahnzüge an, vollgestopft

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