ten hat, der kurz vor Lausanne überheblich erklärt hatte, jeder Vorgang der zur Überwindung des heutigen Systems führe, sei ein außenpolitischer Gewinn! Frankreich hatte es schwerer als England. Dort hatte Herriot das Erbe Lavals angetreten, der öffentlich erklärt hatte, Frankreich werde niemals auf seine Rechte verzichten. Französische Gesinnungsfreunde waren gleichzeitig mit mir in Lausanne eingetroffen. Zusammen mit ihnen hatte ich eine Unterredung mit Herriot. Es war gerade an seinem 60. Geburtstage. Von dem französischen Ministerpräsidenten gewann ich den Eindruck einer Persönlichkeit von ursprünglichem demokratischem Temperament. Auch war er das Gegenteil eines chauvinistischen Deutschenfressers, hatte sich schon 1924 in Frankreich gegen die von Clemenceau und Poincaré hinterlassene Nachkriegspsychose durchgesetzt und die Wege zu einem besseren Verhältnis der beiden Nachbarländer geebnet. Auch er hatte erfahren müssen, in welchem Umfange kapitalistische Kräfte imstande sind, demokratische und friedliche Absichten zu durchkreuzen. Nun setzte er mir auseinander, wie schwer es ihm gefallen sei, die französischen Forderungen auf 3 Milliarden Reichsmark zu ermäßigen. Trotzdem hat er schließlich der weiteren Ermäßigung auf 2,6 Milliarden zugestimmt. Diesen Mann, der einen so erheblichen Beitrag zum Frieden geleistet hatte, hat Hitler während des zweiten Weltkrieges jahrelang in Deutschland eingesperrt, ohne jede völkerrechtliche Grundlage, nur weil er einen zuverlässigen Exponenten der Demokratie in Frankreich unschädlich machen wollte.
Meine und meiner französischen Freunde Anwesenheit in Lausanne hatte noch einen anderen Zweck. In Genf bewegte sich die Abrüstungskonferenz dem toten
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