Ich sehe nur ein Mittel, das diese Gefahr beseitigen kann, nämlich das ganz bewußte Hinarbeiten auf ein gemeinsames Ziel. Weißt Du: getrennt marschieren, vereint schlagen. Du zum Beispiel kennst ganz gewiß meine Lebensziele, meine Auffassungen von dem, was man mit Recht und Unrecht' bezeichnet, und mehr als das, was ich für meine Pflichten halte. Dies ist immer ein ganz bestimmter Wegweiser. Auch ich bemühe mich, immer wieder zu erforschen, inwieweit Dein verändertes Milieu, Dein Beruf, die allgemeinen Verhältnisse Deine Ansichten beeinflußt haben. Das ist allerdings für mich sehr viel schwerer als für Dich, weil mir eben von hier aus alle Maßstäbe fehlen.
Trotz alledem habe ich die Zuversicht, daß es uns nach soviel Jahren der Trennung gelingen wird, ein gemeinsames Leben aufzubauen, und daß die schweren Opfer, die wir nun einmal bringen mußten, uns auch befähigen werden, wieder voll und ganz zusammenzufinden. Vergiẞ nie, daß Du das Los von vielen ungezählten Frauen teilst, und daß große Zeiten auch große Menschen verlangen..."
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Ein jeder von uns macht solche Krisen durch. Klein und hilflos fühlt man sich, und alles Grübeln kann keinen Lichtblick zeigen. Es liegt wie eine dumpfe Schwüle in der Luft. Die Nervosität teilt sich den Zellenfreunden mit. Eine schlechte Nachricht von draußen und tagelang gehen wir stumm aneinander vorbei, gereizt, verbissen. Dann geht uns alles viel zu langsam. Dann hadern wir mit unserem Schicksal. Dann verlieren wir Mut und Selbstvertrauen. Dann erst wird das Leben wahrhaftig zur Hölle. Bis dann eines Tages unser immer fröhlicher Ferdinand Rypar, der nach Willis Abgang auf unsere Zelle gezogen ist, freudestrahlend erscheint und einen Brief seiner Frau in der Luft schwingt. Sie liebt ihn zärtlich, er sie nicht weniger, und jedes Wort ihres Briefes atmet Anhänglichkeit und Zuversicht. Bilder werden hervor
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