Ein alter Sittenstrolch mit steifem Bein pflegt draußen im Saal Hetzreden gegen uns zu halten. Die halbe Ab­teilung hört ihm zu, wenn der Beamte einmal auf dem Gang verschwindet, um ein paar Züge durch die Lunge zu jagen.

Tünnes sträuben sich die Haare.

,, Du, Heinz," beginnt er mit Donnerstimme, zu seiner Tafelrunde gewandt der Saal horcht auf. ,, Wie alt

war sie, Heinz?"

9 Jahre alt war sie? Und verführt

hat sie ihn, den armen Alten! So ein Schwein!"

Brüllendes Gelächter erhebt sich. Der Sittenstrolch verstummt. Er wird 14 Tage einen großen Bogen um uns machen.

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Im Keller traf ich die ersten ihres Transportes. Haut­überzogene Skelette und Jammergestalten, die mich und Jeden Eingeborenen um Brot und Essen anbettelten. Aus Celle war ein Transport mit zirka 50 Juden eingetroffen. Wohlgemerkt nicht aus einem KZ, sondern aus dem preußischen Zuchthaus Celle . Viele mit schlecht ver­narbten Striemen auf Arsch und Rücken, der älteste fast 70 Jahre, der jüngste 19 Jahre alt.

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Der Transport kommt geschlossen auf meinen Saal. Sie erhalten den Davidstern auf ihre Uniform und einen kleinen Ghetto in der Abteilung eingerichtet an denen sie abgesondert sitzen und arbeiten.

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Tische,

Wir verhandeln mit dem Küchenbullen und mit dem Sanitäter. Der humane Flügel der Beamten unter Füh­rung des Werkmeisters, eines streng religiösen 65jährigen Beamten mit unerschütterlichen Grundsätzen, des Arbeits­sekretärs, eines Katholiken und unbeugsamen Antifaschi­sten und des Oberinspektors, eines alten Kämpfers der NSDAP jawohl, trotzdem! setzt durch, daß alle Juden Essenzulage erhalten. Bald werden viele von ihnen auf Außenarbeit gehen und in einigen Monaten bis zu 30 Pfund

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zunehmen.

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