Häftlingen alle Beschäftigungen und Vergnügungen ver­weigerte, auf die auch die Tiere nicht oder höchstens einmal aus Neugier verfallen. Ebenso folgerichtig war es, daß man unbrauchbar gewordene Muskelkraft, die anfing, zu viel Pflege zu verlangen, einfach wegräumte, genau so wie man abgetriebene Tiere abschlachtet. Und mancher kranke Häftling wurde kurzfristig durch eine einzige nächtliche Einspritzung vom Krankenbett ins Krematorium befördert. Ein absolut zuverlässiger Zeuge, Julien Lahaut , der das selbst im ,, Revier" mit angesehen hatte, erzählte es mir ein paar Tage nach seiner Genesung.

Dies muß ausdrücklich festgestellt werden, weil sonst der eine oder der andere skeptische Leser glauben könnte, nur der Krieg und die Erfordernisse der Kriegswirtschaft hätten die SS - Leitung der Konzentrationslager unter der direkten Verantwortlichkeit des Reichsführers SS Heinrich Himmler dazu veranlaßt, den körperlichen Kräften von Ärzten, Juristen, Literaten, Astronomen, Biologen und Künstlern so ,, liebevolle" Aufmerksamkeit zu schenken. Nein, nein! Genau das Gegen­teil ist richtig. Gerade der Krieg und die Kriegswirtschaft haben Himmler und seine Satrapen erst dazu veranlaßt, die logische Folgerichtigkeit einstweilen auf sich beruhen zu lassen und in Abweichung von der noch aus Friedenszeiten her stammenden grundsätzlichen Übung auch mal insgeheim von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Gebildeten und Gelehrten anders einzusetzen, als es ihre dürftige, körperliche Kraft erlaubte. Der ,, Arbeitseinsatz" hatte nun einmal seine Konsequenzen, an denen man nicht so leicht vorbeikam.

Infolge dieses ,, Arbeitseinsatzes" wurden die Polen nicht mehr systematisch ausgerottet, wurden kränkliche Häftlinge zur Erholung nach Dachau geschickt, um dann wieder in Neuengamme arbeiten zu können; seit 1943 kümmerte man sich auch mehr um die Verwundeten und halben Invaliden; ich habe es selbst miterlebt, daß ein russischer Militärarzt bereits drei Tage nach seiner Einlieferung in Neuengamme als ,, Sanitäter" eingesetzt wurde. Das war nichts weniger als eine Todsünde gegen das Gesetz über die Konzentrationslager, das noch in den Jahren 1941 und 1942 vorgesehen hatte, daß alle Neuankömmlinge mindestens ein paar Monate lang mit schwerer, grober Arbeit, hauptsächlich in einem Außen­kommando beschäftigt werden mußten, wobei sie dann allen Launen und aller Unbarmherzigkeit des unbeständigen

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