offiziellen Lagervorschriften gerichtet sind, verführte die Schmarotzer aller Sorten, die Flagge der Kameradschaft auf jedem„Schlammprahm“, zu hissen,
Im Namen der: Kameradschaft wurde man von Leuten, die nur an ihren eigenen Vorteil dachten, um Gefälligkeiten an- gegangen. Im Namen der Kameradschaft wurde man um Geld oder Gut erleichtert, ohne selbst etwas dafür zu bekommen. Im Namen der Kameradschaft wurde man herabgesetzt und mißachtet, ohne einen anderen Grund als gewünschte Ab- neigung. Im Namen der Kameradschaft wurden Menschen als Abfall behandelt und mißhandelt, wenn sie sich nicht den Schutz der Mächtigeren erringen oder erkaufen konnten.
Was Kameradschaft war und sein konnte, mußte der Neu- ankömmling erst lernen. Und dabei ging es nicht immer ohne Verluste ab. Gehörte er nicht zum Gangster-Typus und ver- schenkte er etwas Wertvolles an den ersten Mithäftling, dem er begegnete, dann wurde er als Dummkopf ausgelacht; ver- langte er eine passende Gegenleistung dafür, daß er auf sein eigenes Vergnügen verzichtet hatte, dann nannte man ihn geizig, wagte er es etwa, mit seinen Besitztümern zu prahlen, dann machte er die anderen neidisch. In allen drei Fällen zog er Verachtung und Rachegefühle auf sich. Nur die, die aner- kanntermaßen zur Kaste der Prominenten gehörten, durften sich so etwas erlauben. Das gehörte zu den Merkmalen der Prominenz im Lager. Ein Gefangener, der nicht in diese. Ober- schicht aufgenommen worden war— und in den ersten Jah- ren hatte man wenig Aussichten darauf— der mußte seine Besitztümer mit den Mächtigen teilen, seine Sachen nur in ganz bescheidenem Maße vertauschen und alles das, was er für sich verwenden wollte, sorgfältig verstecken.
Die Kameradschaft als ethischer Wertmesser war auf eine Art von Gegenseitigkeitsprinzip beschränkt.„Nichts für nichts!“ Gleichgestellte in der gleichen Lage tauschen zu glei- chen Bedingungen, helfen sich selbst, indem sie den anderen helfen. Im Grunde genommen nichts anderes als eine Wahr- nehmung der eigenen Interessen, friedlich, aber zweckmäßig. Infolgedessen auch: nur dort angewendet, wo persönliche Vor- teile dabei zu holen waren.
Außerhalb dieser begrenzten Sphäre des Gegenseitigkeits- prinzips im Umgang mit den Mithäftlingen, auf deren Hilfe man angewiesen war, dienten Schlagwort und Losung ‚„Kame- radschaft“ in der Regel nur als. Deckmantel für Schwindeleien.


