arztes lag, zu dem ich den Schlüssel in der Tasche trug. Aber ich zögerte nicht einen Augenblick: ,, Zu Befehl, Herr Obersturmbannführer", und ging gelassen an einen der Schränke, in dem die Revierakten aufbewahrt. wurden, suchte die Revierakte heraus und überreichte sie Rödl. ,, Dö nich, dö annere, dö wo von oben." Ich stellte mich dumm: ,, Die politischen Akten, Herr Obersturmbannführer?"- ,, Jo, jo, dö. Seins net hier?" ,, Ich weiß nicht, Herr Obersturmbannführer." Rödl zeigte auf den Schreibtisch des Lagerarztes: ,, Net da, daeini?" ,, Ich bin darüber nicht im Bilde, Herr Obersturmbannführer." Rödl war beruhigt und zog wieder ab. Ebenso beruhigt war Ding, als ich ihm Bericht erstattet hatte. Die politische Akte" war meistens dürftig genug. Sie bestand häufig nur aus dem sogenannten ,, Schutzhaftbefehl", jenem roten Schein, der auch dem Häftling ausgehändigt wurde, dem politischen Fragebogen, den wir sofort nach der Einlieferung unter schärfster Strafandrohung mit kurzem Lebenslauf wahrheitsgemäß zu beantworten hatten, und einem in jedem Falle(!) negativen Führungsbericht, der nach Ablauf der ersten drei Monate Schutzhaft erstattet worden war. Bei kriminellen Häftlingen kam manchmal, aber selten genug, ein Strafregisterauszug hinzu. Außerdem fand ich in verschiedenen Akten noch Schriftverkehr mit dem Sicherheitshauptamt, Prügelblätter, von der Zensur festgehaltene Briefe und dergleichen. Auch bei Häftlingen, die schon jahrelang im Lager waren, fand ich keine dickeren Akten vor, höchstens, daß sie ein oder zwei Führungsberichte mehr enthielten, die meistens durch Fernschreiben von Berlin angefordert waren.
Daß diese Führungsberichte über den Leisten geschlagen waren, fiel mir bald auf. Der asoziale Häftling war immer noch faul, der kriminelle auch im Lager wieder straffällig geworden, der politische zeigte noch keine Umstellung, der Bibelforscher noch keine Bereitschaft, seinen Glauben aufzugeben usw. Aber es dauerte erst einige Zeit, bis ich dahinterkam, daß vielfach bei den Häftlingen, in deren Führungsberichten es hieß, daß sie gerade in letzter Zeit noch wieder disziplinarisch bestraft werden mußten, gar keine Bestrafung erfolgt war.
Dann bekam ich die politische Akte des Häftlings Melingo in die Hand, das heißt wir Häftlinge nannten ihn Melingo, er hieß Edler von Melingo und war vom ersten Tag seiner Einlieferung ununterbrochen in stationärer Revierbehandlung gewesen. Er hatte die tollsten Krankheiten durchzumachen und stand immer wieder ,, auf der Kippe", aber ebenso oft gelang es den Pflegern, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. So kam es, daß Melingo einfach zum eisernen Bestand des Reviers gehörte und gewissermaßen- man verzeihe mir den Vergleich- der
12 Poller, Buchenwald
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