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gezwängt. Er war mit anderen Häftlingen gerade bei der Verteilung von ,, Rationen", die für Juden natürlich noch geringer waren. Als ich nach Heilmann fragte ich mußte schreien, um mich ihm verständlich zu machen- blickte er mich sekundenlang prüfend an und schlug dann mit einem hölzernen Schlägel gegen eine aufgehängte Eisenstange, so daß ein lauter, klingender, glockenähnlicher Ton entstand. Augenblicks ebbte der Lärm und das Gewimmel im Raum ab. Der Stubenälteste rief dann laut: ,, Heilmann!" und wandte sich sofort seiner Arbeit wieder zu, ohne mich weiter zu beachten, und die Wogen des Lärms schlugen wieder über den Raum zusammen.
Und da stand ich nun mitten unter den Juden, mitten in dem wirren Durcheinander von Reden, Rufen, Singen und Lärmen, mitten in der dicken, muffigen Luft, geschubst und gedrängt, und kein Mensch kümmerte sich um mich. Die Situation war so tragikomisch, daß ich lachen mußte. Ich wußte nicht recht, wie die Sache weitergehen würde, aber ich hatte den Eindruck, daß mein Versuch nicht erfolglos sein würde, und wartete einige Minuten, die Zeit benutzend, das Treiben der Juden weiter zu beobachten. Ich hatte das Gefühl, daß ich einen schweren Albtraum erlebte, der mich in ein Irrenhaus geführt hatte, und mußte mir Mühe geben, klar zu empfinden, daß alles Wirklichkeit war, was ich sah. Ich war eben noch zu jung im Lager
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Dann sah ich Heilmann, wie er sich an den Tisch des Stubenältesten durch das Gewimmel drängte. Zwar war er geschoren und ohne Bart, aber ich erkannte ihn doch an den buschigen, leicht rötlichen Augenbrauen, der charakteristisch ausgeprägten Nase und dem typischen Blick seiner Augen.
Doch sicherlich habe ich ihn nur erkannt, weil ich ihn suchte und erwartete. Sonst hätte ich ihn wohl schwerlich wiedererkannt. Die Spuren des Leids und all der Qualen, die dieser Mann in den bis dahin 51/2 Jahren Konzentrationslagerzeit durchzustehen hatte, waren tief in das zerfurchte Antlitz gegraben. Seine zerfetzte Kleidung war dreckig und geflickt. Sein Gang war gebeugt und langsam, seine Hände rissig, spröde, zerarbeitet. Das war nicht mehr der Mensch Heilmann, das war nur noch das Wrack Heilmann.
Er erkannte mich nicht, und erst als ich meinen Namen nannte, wußte er sich meiner zu erinnern.
,, Laß uns ein wenig plaudern", sagte er und führte mich nach einer Bank in der Nähe des großen Ofens.
Die dort sitzenden Häftlinge machten bereitwilligst Platz als wir sagten, daß wir etwas zu besprechen hätten.
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