fernung vor uns angetreten ist, tauchen weit hinten jetzt die Konturen des Wachtturms über dem Lagertor auf. Zu meiner Rechten sehe ich hinter dem hohen Stacheldrahtzaun die großen Baracken IA bis VA.

Wir Zugänge haben wie die meisten Häftlinge keine Handschuhe. An- dere sind glücklicher dran. Aber auch sie schlagen die Hände aneinander und trampeln mit den Füßen. Die meisten Häftlinge schweigen. Nur ab und zu beobachte ich, wie einer leise etwas zu seinem Neben- oder Hintermann sagt. Plötzlich geht ein leise geflüstertes, warnendesAch- tung durch die Reihen. Sofort steht alles still. Ich höre, wie unser Block- ältester kommandiert:

Achtung! Block 39, stillgestanden! Die Augen links!

Dann sehe ich, wie aus dem dämmerigen Dunkel ein SS. -Scharführer auftaucht. Unser Blockältester läuft auf ihn zu, reißt die Mütze vom Kopf und erstattet ihm in strammer Haltung Meldung. Der Scharführer geht an die Spitze des Blocks und schnarrt:Abzählen! Und indes das Abzählen wie am Schnürchen durch das erste Glied von Flügelmann zu Flügelmann rast, geht der Scharführer mit schnellen Schritten die Front ab und überzeugt sich, daß die Reihen vollzählig sind. Auf einem Appell- zettel macht er eine entsprechende Eintragung und geht dann zu einem anderen Block.

Unser Blockältester kommandiert:Rührt euch!, und sofort kommt wieder Bewegung in unseren eben zur Mauer erstarrten Block. Man trampelt mit den Füßen, reibt die Hände, schlägt die Arme, aber alle Bewegung ist sonderbar verhalten, als wäre sie einem strengen Verbot abgestohlen. Wir stehen schon fast eine ganze Stunde auf dem Appell- platz, und immer lichter wird die Dämmerung, und immer erstarrter werden die Glieder. Wir hauchen unsere Hände an und reiben uns Nasen und Ohren warm. Jetzt sehe ich schon deutlicher die Blocks vor uns. Auch drüben bei ihnen dieselbe verhaltene Bewegung wie bei uns, dies Trampeln, Händereiben und Armeschlagen. Soweit mein Auge sieht, nichts als Häftlinge in gestreifter Kleidung oder alten Soldatenröcken, viele Hunderte, Tausende, Zehntausende.

In den riesigen Lautsprechern, die über den Platz verteilt sind, knarrt es. Sofort steht wieder alles still, als hätte irgendein gigantischer Mario- nettenspieler die Fäden seiner Puppen plötzlich aus der Hand gelegt. Ich höre ein Klopfen im Lautsprecher. Offenbar wird ausprobiert, ob die Anlage funktioniert. Dann ein Kommando, hohl, hallend und über- menschlich laut: ‚Achtung! Lager stillgestanden! Augen rechts! Ich sehe nichts von den Dingen, die oben am Tor vor sich gehen, aber ich stehe genau so erstarrt und unbeweglich da, wie die Zehntausende

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