ERSTER TEIL
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Am 18. Dezember 1938 werde ich wer weiß zum wievielten Male in diesen letzten vier schweren Jahren!- wieder einmal in die ,, Grüne Minna", den Schubwagen der Polizei, gepfercht. Diesmal geht die Reise nach Weimar , der Stadt, die für alle Zeiten durch Goethe und Schiller geweiht wurde. Ich kenne Weimar , aber diesmal werde ich nicht das Goethe- Haus am Frauenplan besichtigen, diesmal werde ich nicht die Gruft aufsuchen, in der zwei schlichte Sarkophage aufgebahrt sind, diesmal werde ich nicht das Schiller- Haus ehrfürchtig betreten und nicht auf dem Friedhof nach Denkmälern suchen, auf denen bekannte Namen eingemeißelt wurden, diesmal werde ich nicht hinübergehen nach jenem schlichten Gartenhaus, in dem eine Frau lebte, von der ein ganz Großer der Menschheit den in die Weltliteratur eingegangenen Vierzeiler dichtete:
Du suchst, o Sonne, vergebens,
durch die düsteren Wolken zu scheinen.
Der ganze Gewinn meines Lebens
ist, ihren Verlust zu beweinen.
Aber auch diesmal sucht die Sonne vergebens durch die düsteren Wolken zu scheinen. Sie ist schwarz verhangen von einer Wolkenmauer des Grauens und der brutalsten Macht.
Gerade eben rast wieder die Furie des Nazismus ungehemmt und frei über ganz Deutschland . Die Machthaber des Staates gaben den Befehl, und nun gehen Gotteshäuser in Flammen auf, Geschäfte werden geplündert, Wohnungen ausgeraubt, Sachwerte und Nahrungsmittel sinnlos vernichtet, Lebewesen, die das Menschenantlitz des Nazareners tragen, wie räudige Hunde erschlagen, erschossen, erstochen und zu vielen, vielen Tausenden in qualvoller Weise mit Stockschlägen, Drohungen und unter satanischem Gelächter zusammengetrieben, wie es nur sexuell anormale Bestien mit wehrlosen Tieren tun können. Es ist die Zeit des staatlich organisierten Judenprogroms in Deutschland , und der Name des literarischen Genies, vor dem sich selbst ein Goethe in
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