erkundigen zu können. Wenn ich soeben sage, daß ich mir einige Ortsnamen gemerkt habe, so will ich bei dieser Gelegenheit einflechten, daß ich nur aus dem Gedächtnis schreiben kann, denn eine Notiz oder mögen es auch nur einige Zeilen auf einem Blatt Papier sein, in die Hände der SS geraten, würden sicher den Tod des Betreffenden bedeutet haben.
Pfarrer Schneider war seit diesem Tage nicht mehr unter uns. In einer Arrestzelle am Konzentrationslagereingang begann nun für ihn eine Zeit, die sicher noch in späterer Zeit der Nachwelt als Einzelschicksal die Grausamkeiten des Hitlertums dokumentieren, Pfarrer Schneider als Märtyrer seiner religiösen Anschauung herausstellen wird. Ich schreibe Einzelschicksal. Paul Schneider war Pfarrer und als solcher stand er ungewollt mehr als ein anderer im Blickfeld, sowohl bei der SS wie bei den Häftlingen. Tausende andere gingen unter mehr oder weniger grausam angewandten Folterungen den Weg des Todes. Da sie unbekannter oder namenloser waren, verschwinden sie in der großen Zahl der Sterbenden in der Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald . Sechzehn Monate verbrachte er in einer kleinen Arrestzelle am Lagereingang, jeden Augenblick gewärtig, von den SS - Henkern in den Tod geschickt zu werden. Während dieser Zeit erfuhren wir nur wenig von ihm. Mehrere Male hörten wir ihn, wenn wir Sonntags früh auf dem Appellplatz angetreten waren, laut in seiner Zelle beten. Dann gingen auf den Wink des Lagerführers einige Scharführer zu seiner Zelle. Wir hörten die klatschenden Schläge, und Paul Schneider schwieg. Einmal rief er laut: ,, Ich klage den Scharführer Sommer an wegen Mordes an Häftlingen," ," deren Namen er dann nannte. Es handelte sich dabei um Häftlinge aus seiner Nebenzelle, deren grausamen Tod er hörbar in seiner Zelle verfolgen konnte. Viele Monate hindurch hatte man einen irrsinnigen, etwa 17jährigen Jungen mit in seine Zelle gelegt, um ihn eben auch zum Irrsinn und zur Verzweiflung zu bringen. Dieser Irrsinnige nannte sich Karl Hitler. Wir nannten ihn Karlchen. Er wurde oftmals mit einem anderen irrsinnigen jungen Häftling an den Handgelenken zusammengekettet, mit Badehose bekleidet von der SS durchs Lager geführt. ,, Haltet, haltet" war der sich immer wiederholende Ausruf von Karlchen. Dann blieb er stehen. Seine weiteren Worte waren: ,, Ich darf nicht reden, und der andere, der reden kann, liegt auf dem Friedhof."
Daß Pfarrer Schneider nicht schon längst umgebracht worden war, lag wohl daran, daß er in weiten Kreisen der Kirche bekannt war. Er war eben kein Namenloser, und deshalb hatten die Mörder noch Hemmungen. Nach 16 Monaten sah ich ihn zum erstenmal wieder. Er stand neben dem Lagereingang und wurde vom Lagerführer ,, vernommen". Auf Vorhaltungen wegen seiner religiösen Standhaftigkeit und Drohungen soll er zum Lagerführer gesagt haben:
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