Und was man uns auch angetan, wie furchtbar man auch an unserem Schicksal gefrevelt hatte, letztlich obsiegte über allem dunkeln Vergeltungs- drang doch jene göttliche Urgewalt, die zu uns spricht aus den schlichten, tiefen Worten Goethes:

Der Du von dem Hinmel bist,

Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist,

Doppelt mit Erquickung füllest,

Ach, ich bin des Treibens müde....

Ja müde, namenlos müde hatte uns Dachau mit all seinem Leid und Grauen gemacht. Aber durften wir müde sein, wo Millionen verzagte Men- schen auf uns schauten, auf uns, die wir mehr gelitten hatten als sie, wir, die Märtyrer einer Sache, die zutiefst innerlich von unzähligen Deutschen als eine alle verpflichtende Angelegenheit der ganzen Nation empfunden worden war?

Wenn wir trotz allem nicht an diesem Volke verzweifelten, wie es natürlich und menschlich verständlich gewesen wäre, wenn wir den Glauben an, den guten Kern des Volkes bewahrten und Hand anlegten beim Aufbau eines neuen, besseren Deutschland , dann mußte auch ihnen daraus neuer Mut, neue Kraft und neues Selbstvertrauen erwachsen.

Wir haben keinen Augenblick daran gezweifelt: Was in den Konzen - trationslagern im Namen Deutschlands geschah, war das Schandwerk von Verbrechern, elenden Kreaturen, die das billige ungeistige Instrument einer widerspruchslosen Diktatur mit Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit handhabten, die vor keinem Satanswerk zurückschreckten.

Dieses Untermenschentum-als vom deutschen Volke beauftragt anzu- sprechen, ist ebenso abwegig, wie das von jedem ernsten Geschichtsschreiber verurteilte Unterfangen, die Greuel derFranzösischen Revolution mit ihrem furchtbaren Septembermorden, oder die berüchtigte Bartholomäusnacht von 1572 diesem Volke als Kollektivschuld aufbürden zu wollen. Wäre der Geist von Dachau aus dem Boden eines demokratischen Deutschland er- wachsen, das Volk müßte für die Freveltaten und Verbrechen einstehen. Fs ist für den objektiven Geschichtsschreiber unserer Tage nicht schwer zu be- weisen, daß selbst die demokratisch getarnten Akte zu Beginn der National- sozialistischen Machtergreifung weiter nichts waren, als ein verlogenes Schein- manöver, wodurch nicht nur das deutsche Volk betört wurde, sondern auch

die übrigen Nationen der Erde, die ausnahmslos die Hitlerregierung von 1933 _ anerkannten und beglaubigten.

Nie ist das Vertrauen eines Volkes schmählicher enttäuscht und furchtbarer mißbraucht worden! Nie ist die Ehre eines Volkes schändlicher besudelt wor- den als in unseren Tagen durch den Nationalsozialismus .

Und so steht heute im Herzen der Welt ein großes Kulturvolk fassungs- los in ohnmächtiger Wut, schwer verhaltener Verbissenheit, stummer Trauer und tiefer Scham angesichts des furchtbaren Erbes, das der Nazismus hinter- ließ. Nie wurde ein Volk schändlicher betrogen!