im Sommer Scharen französischer Kriegsgefangener von hier aus in die Schweiz gegangen. Allerdings gingen Gerüchte, daß die Bewachung inzwischen wesentlich verschärft worden sei. Es galt zu prüfen, ob das stimmte.

Ich ließ mich in einem Gasthof in Pfützen nieder, erkundete die Gegend und freundete mich mit den Grenzwächtern an, die in dem Gasthof aßen. Das war nicht schwer. Die Leute langweilten sich. Die meisten von ihnen waren gutmütige, etwas schwer­fällige ältere Männer. Der Jüngste von ihnen, Hell­berg, vielleicht 30 Jahre alt, fiel durch sein kluges, lebhaftes Gesicht auf.

Er erzählte mir seine Lebensgeschichte: Er war arbeitslos. Sein Mädchen erwartete von ihm ein Kind. Er mußte heiraten, und er mußte irgend­ein ,, Brot" finden. Gegen seine Überzeugung ent­schloß er sich zu dem Dienst eines Grenzbeamten. Er pries den Wert der produktiven Schichten und den Wert und Reiz ihres Lebens im Gegensatz zu dem Leben der faulen wenn auch beschäftigten nichts erzeugenden Grenzwächter. ,, Der Bauer, der Tischler können auf das Werk ihrer Hände stolz sein. Ich aber muß mich vor ihnen schämen, von ihnen verachten lassen. Wenn ich etwas leiste, dann nur, daß ich einen armen Teufel fange, ihm das Leben verderbe."

Es zeigte sich, daß der Mann ungewöhnlich be­lesen war. Er kannte und liebte Tolstoj , Dostojewskij und Gorkij . Er schätzte Romain Rolland , Wasser­mann und Strindberg. Ich ließ mir von ihm Bücher geben. Er hatte gute Sachen bei sich.

Gelegentlich fing er auch an, von Politik zu sprechen. Aus seinen Worten ließ sich entnehmen, daß er Gegner des Krieges und vor allem Gegner der Nazis sei. Ich hörte interessiert zu, ohne auf diese Themen einzugehen. Strafrecht und Psycho­

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