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, Man kann Sie ja nicht für immer blind machen. Fühlen Sie nicht vor diesen Bildern, was es heißt, ein Mensch zu sein? Wie gut und böse doch das Blut ist? Wie arm und großartig der Geist?"
Vor uns auf dem Tisch lagen die Blätter, gute, mit handwerklicher Sorgfalt ausgeführte Drucke. Der junge Lernau trat mit rotem Kopf heran. Er senkte den Blick der großẞen, etwas vorgequollenen Augen.
Mit den Fingerspitzen, als ekle er sich sie zu berühren, wandte er eins nach dem anderen die Blätter um.
,, Es geht ja recht durcheinander", meinte er ,,, aber vollständig scheint deine Sammlung zu sein. Alles Juden- ach nein, da ist ja auch die Kollwitz mit ihrem Armeleutegeruch." Nach Atem ringend stand ich neben ihm.
,, Barlach ", fuhr Lernau fort ,,, natürlich, der durfte nicht fehlen. Und hier, was ist denn das? Wahrhaftig, Rembrandt ! Man muß sagen, du hältst dich auf dem laufenden. Die Diskussion über ihn ist noch gar nicht abgeschlossen. LehmannHildesheim freilich nennt ihn den Ghettomaler, und das ist auch meine Ansicht, wenn du es wissen willst
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Lernau lächelte nicht, er bleckte seine Zähne, und er packte das Blatt- ,, Joseph erzählt seine Träume"- und er zerriẞ es. An das Geräusch des zerreißenden Papiers werde ich mich bis an mein Lebensende erinnern, so scharf und böse klang es. Ich fuhr auf, um Lernaus Arm zu packen. Doch bevor ich ihn erreichte, war Steffie auf ihn zugefahren. Sie biß ihn so heftig in die Hand, daß er aufschrie.
,, Bist du denn wahnsinnig, Steffie?" rief er und fuhr mit der blutenden Hand an den Mund. Das Blatt sank in zwei Hälften zu Boden. Steffie kümmerte sich nicht um Lernau, sie kniete nieder und fügte die Hälften des zerrissenen Blattes mit einer zärtlichen, heilenden Bewegung zusammen. Sie blieb am Boden hocken und weinte.
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