Ganz allmählig zog die Dämmerung herauf, jetzt konnte ich mich auf den Weg machen. Ich hatte beschlossen, zu Fuß zu gehen. Vor der Benutzung von Tram oder Untergrundbahn hatte ich eine Scheu. Aber nun merkte ich, daß ich müde war, das Gehen machte mir Beschwerden, ich brauchte mehr als eine Stunde, bis ich vor Gustavs und Ernas Häuschen anlangte. Ich zog die Klingel, Erna öffnete und zog mich schnell ins Innere des Hauses. Sie begrüßte mich sehr herzlich. Gustav war nicht da, er war auf einer Dienstreise, Erna war ganz allein im Hause. Ich mußte ihr berichten, wie meine Fahrt verlaufen war. Dann fragte ich sie, wie ich am besten meine jüdische Kennkarte und meinen Judenstern verschwinden lassen könnte. Schnell entschlossen entzündete sie in ihrem Küchenherd ein kleines Feuer. Wir sahen beide zu, wie diese Dokumente der schweren letzten Zeiten von den Flammen erfaßt und verzehrt wurden, bis nur ein winziges Häuflein Asche übrigblieb. Ich bekam ein freundliches Zimmer im zweiten Stock, in dem ich jetzt sitze und schreibe. Durch das Fenster sehe ich in die mächtige Krone einer schönen Robinie, in der noch zu dieser Jahreszeit als dem einzigen Baum der langen Straße einige weiße Blütentrauben leuchten. Auch das nehme ich als glückliches Zeichen und freue mich daran.
Heute mittag kam Gustav heim. Er begrüßte mich ebenso freundlich wie seine Frau. Wir besprachen dann, wie ich mich verhalten sollte. Ich werde, wenn Erna zum Einkaufen geht, auf kein Klingeln oder Klopfen reagieren, sondern mich ganz still in meinem Zimmer aufhalten. Ich werde das Haus niemals verlassen, mich auch nicht am Fenster zeigen, keinerlei Verkehr mit alten Freunden aufnehmen. So wäre alles schön und gut, aber ich schrecke doch bei jedem Läuten des Telephons oder der Hausklingel zusammen und kann nicht vermeiden, daß mir jedes Mal heiß und kalt dabei wird. Noch schlimmer aber sind die Nächte. Ich schlafe spät ein und wache bald darauf in Schweiß ge
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