dieser Lektüre fesseln zu lassen; die Zeit verging. Augs- burg, Nürnberg , alle die bekannten Städte flogen vorbei. Der Zug war überfüllt, in den Gängen drängten sich die Menschen. Ein- und Aussteigen wurde immer schwieriger. Noch war keine Kontrolle gewesen, aber ich wußte, selbst wenn sie kam, würde ich mich ihr gewachsen zeigen.— Wir näherten uns Jena . Ich versuchte, aus dem Abteil herauszukommen und in die Nähe des Gangfensters zu gelangen. Aussichtsloses Beginnen! Wie sollte bei dem end- los langen Zuge Eva mich hier finden? Schon setzte der Zug sich wieder in Bewegung.Resigniert ging ich zu meinem Fensterplatz zurück. Da— sah ich recht oder täuschte mich eine Halluzination? War das nicht Evas Gestalt, die an.der offenen Türe unseres Abteils stand und sich suchend umschaute? Sie war es wirklich! Nun hatte sie mich auch erblickt. Ich sah, wie ihr ernstes, ja ängstlich erregtes Ge- sicht sich entspannte und ein Lächeln auf ihre Züge trat. Neben mir saß ein junger Unteroffizier. Er stand auf und bot ihr mit freundlicher Gebärde seinen Platz an. Immer noch erschien uns beiden die ganze Situation unglaubhaft, mir war, als träume ich! Doch gleich darauf durchfuhr mich ein starkes Glücksgefühl. Dieses märchenhaft an- mutende Zusammentreffen bestärkte mich noch in meinem Sicherheitsempfinden. Auch Eva empfand ähnlich, sie ge- stand mir, daß eine große Last von ihr genommen sei, und daß sie ruhiger heimkehre. Sie wolle gleich nach dem Aussteigen die besprochene Nachricht an Tilla senden, die sie an Frau Dr. Weiß weitergeben werde. Wir besprachen noch, daß sie mir regelmäßig schreiben wolle. Sie könne ihre Briefe an Cousine Erna richten und adressieren. Im übrigen sprachen wir nicht viel miteinander, es genügte uns, still nebeneinander zu sitzen. In Halle stieg sie aus, noch im Abfahren sah ich sie mit frohem Gesicht mir nach- winken. Wittenberg und Luckenwalde lagen hinter uns, der Zug näherte sich den Vororten von Berlin . Es war keine Kontrolle gekommen, es war mir erspart geblieben,
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