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beruhigenden, versöhnenden Einfluß. Er wird allgemein ver­ehrt. Den Dingen des täglichen Lebens steht er ziemlich hilflos gegenüber, unaufgefordert hilft ihm jeder und jede, wo es nötig ist. Und er dankt mit einem fast rührend ver­schämten Lächeln für die kleinste Hilfeleistung. Wir wissen beide von einander, daß wir politisch in zwei verschiedenen Lagern stehen, aber es spielt überhaupt keine Rolle, wir haben viel Sympathie für einander. Ich empfinde große Verehrung für ihn und sehe in ihm einen Freund, mit dem ich Fragen der Menschenbehandlung ohne jede Scheu be­sprechen kann. Er versteht mich mühelos. Ich bin sehr froh, daß er bei uns bleibt. Sorge macht mir seine zarte Gesund­heit. Neulich passierte eine reizende kleine Geschichte mit ihm, die mir einer seiner Stubenkameraden erzählte. Wir mußten ihn alle hier nennen ihn nur den Professor und seine fünf Zimmergenossen in ein anderes Zimmer ver­legen, weil wir ihr bisheriges, seiner günstigen Lage wegen, als Arbeitszimmer einrichten, und hatten ihnen das zwei Tage vorher mitgeteilt, damit alle Zeit hätten, ihre Sachen in Ruhe in ihr neues Zimmer hinüberzutragen. Am Nach­mittag des letzten Tages ging der Professor zu den ein­zelnen und fragte, ob sie schon ihre Sachen hinüberge­räumt hätten, sonst sollten sie das doch recht bald tun. Die meisten waren bereits fertig, einer wollte gerade be­ginnen und fragte: ,, Aber warum sind Sie so besorgt dar­um, daß wir schnell fertig werden, Professor?" Freundlich lachend antwortete er: ,, Wenn Sie alle fertig sind, kann ich anfangen, ich weiß dann, was zurückgeblieben ist, ge­hört mir."

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Berg a. Laim, Sonntag, den 16. November 1941

Nun sitze ich schon eine ganze Weile an meinem Schreib­tisch vor meinem Tagebuch, tief erschüttert von den Er­

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