Und zwar gerade deshalb, weil der unmaskierte National­sozialismus in der Tat allen willkürlich ,, aus der Volks­gemeinschaft Ausgeschlossenen" das innerste Wesen, das ,, Menschsein" des Menschen, das Herausgehobensein über das Tierische abspricht, deshalb darf der Häftling nicht über menschliche Arbeitsfähigkeit in ihrem vollen Umfang ver­fügen oder weiterverfügen, deshalb ist er lediglich zur Be­tätigung seiner Muskelkraft berufen. Ein Häftling, der in der Zeit vor seiner Verhaftung, als er noch ein Mensch war, einen höheren Grad menschlicher Arbeitsfähigkeit erreicht hatte, und deshalb befähigt war, Kranke zu heilen, Unwissende anzuleiten, Ungebildete zu unterrichten, oder sonstige geistige Mängel zu beheben, der wird jetzt, da er kein Mensch mehr ist, auch nicht mehr in der gleichen Weise arbeiten wie damals, da er sich noch einen Menschen nennen durfte. Der Arzt arbeitet jetzt mit der Schaufel, der Jurist jätet Unkraut, der Schrift­steller fährt Schlamm, der Biologe sägt Holz, der Astronom lädt Güterwagen aus, der Mathematiker schält Kartoffeln, der Historiker klopft rostige Nägel gerade, der Offizier tut Burschendienste, der Dichter schleppt Balken, der Architekt häuft Stroh auf, der Maler langt Ziegelsteine zu, und der Bildhauer zieht den Jauchewagen.

Kurz und gut, der Denker soll nicht denken, der Mathe­matiker nicht rechnen, der Schriftsteller nicht lesen. Bücher waren im Konzentrationslager grundsätzlich verboten. Selbst das Studium der deutschen Sprache war den Ausländern verboten, erst recht natürlich das Erlernen einer Fremd­sprache. Die Sprache! Ist es nicht gerade ihre Ausdrucks­fähigkeit, die in erster Linie den Unterschied zwischen menschlichem Verstand und tierischem Instinkt verdeutlicht? Singen, das mag noch gehen: Singen oder pfeifen, das können auch einige Tiere. Aber eine Sprache reden! Das sieht zu sehr nach dem Formulieren eigener Gedanken aus, von Dingen also, die keinen Wert mehr haben dürfen.

Für ,, Ausgeschlossene aus der Volksgemeinschaft" liegt keinerlei Veranlassung vor, etwa durch die Hintertür Zugang zu dem Schatten oder der Wärme der Bereiche zu gewinnen, aus denen sie ausgeschlossen sind. Sprachkenntnisse sind deshalb Requisiten einer überwundenen Epoche. Ebenso nutzlos, ebenso wertlos, ebenso unangebracht wie das Denken selbst! Das Einzige, was man am Häftling schätzt und aner­kennt, das Einzige, was man bei ihm wertet und auch

93

93