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Verpflichtung wurde schon nach kurzer Zeit als automatisch verfallen betrachtet. Versprich alles und halte nichts!" war ein ganz alltäglicher Grundsatz. Und wenn ein Gefangener seiner Bitte um eine Zigarette oder einen Priem die Worte hinzusetzte: ,, Ich gebe es dir nachher zurück", dann wußte man mit Sicherheit, daß er nur betteln oder erpressen wollte. ,, Wir sind Kameraden!" In der fünften Lebensregel kam der Hang zum Geselligen zum Ausdruck, der untrennbar mit dem menschlichen Sein verknüpft ist. Selbst das egozen­trischste und selbstsüchtigste Einzelwesen braucht die Unter­stützung der Gemeinschaft mit anderen Artgenossen, sowohl materiell als auch in geistiger Beziehung. Und als Ersatz für alle Ausweitungen, die das Einzelleben in der zivilen Welt durch das Schließen von Freundschaften, das Gründen einer Familie und den Beitritt zu den verschiedensten Vereinen oder Gesellschaften erfährt, gab es hier die ,, Kameradschaft". Als Tatsache und als Norm, als Erweiterung des Selbsterhal­tungstriebes und als spontane Neigung zur Mitteilsamkeit.

Kameraden waren alle Gefangenen, schon durch ihre ursprüngliche Gleichstellung in der Verbannung, in der Ver­nichtung aller früheren Lebensannehmlichkeiten, bei der Ver­teilung der Verpflegungsrationen, bei der Ableistung der ge­meinschaftlichen schweren Arbeit. Die Gleichschaltung in der sozialen ,, Nacktheit" war prinzipiell mit einer Gleichheit in der Verteilung und im Tragen der Last verbunden. Und da sich kein einziges Menschenkind von Natur aus dazu beru­fen oder veranlaßt fühlt, andere anstelle von sich selbst über das Niveau dieser grundsätzlichen Gleichheit hinauszuheben, wurde jeder, der nicht in der Lage war, sich selbst Vorrechte zu verschaffen, zum Teilen der gleichen Leiden gezwungen.

Nur durch die gegenseitige Unterstützung ihrer Bedürf­tigkeit vermochten die Häftlinge ihrer eigenen Unzulänglich­keit etwas aufzuhelfen. Und die unbestreitbare Zweckmäßig­keit gegenseitiger Hilfe brachte ihr die höchste Wertschätzung in den Beziehungen von Mensch zu Mensch. Das Aufblühen einer inneren Annäherung, der Anhänglichkeit und der Hilfs­bereitschaft, durch die Selbstsucht des Einzelnen sein An­schlußbedürfnis zu verkleiden versteht, führte gleichzeitig zu einer ersten Spur von Einverständnis. Aber zur gleichen Zeit wuchs auch die Anfälligkeit für Ausnutzung. Denn die Heuche­lei, die unausweichlich der erzwungenen Unehrlichkeit in Handlungen und Unterlassungen entspringt, die gegen die