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Charakteristisch für die geistigen und moralischen Quali­täten, mit denen deutsche Häftlinge am leichtesten einen Platz auf den Sprossen der Leiter zur Prominenz finden konnten, blieb immer die ursprüngliche Auswahl der am besten für die Sklaventreiberdienste geeigneten Elemente. Und der Ehrenkodex, der für alle Gewohnheiten und Einrichtungen in dieser ,, einzigartigen" Gemeinschaft von Lagerinsassen galt, hatte keinen anderen Inhalt als die langsam herausgebildete Lebensauffassung des geschickten und handfesten Berufs­verbrechers reinsten Wassers, die einigermaßen von Solidari­tätsauffassungen kommunistischer Prägung beeinflußt war.

Sie standen sich als Gegenpole gegenüber, die Kommunisten und Berufsverbrecher, aber sie ergänzten sich gleichzeitig. Sie hatten völlig verschiedene Ambitionen, aber zur gleichen Zeit auch gemeinsame Interessen. Und da die Menschen in der Praxis meist nicht so gut sind wie die Ideale, die sie vertreten, aber auch nicht so schlecht wie die falschen Ideen, für die sie sich einsetzen, schaukelte der geistige Zuschnitt des Lagerlebens hin und her, ganz nach der Devise: Leben und leben lassen, andere ausnutzen, aber ihnen doch eine Chance zur Selbsterhaltung geben; vor allem für sich selber sorgen, aber dabei doch vermeiden, sich in offenen Gegensatz zu allen anderen zu stellen.

Sklaventreiben war nun einmal keine Krankenpflege, und die gespielte Dienstfertigkeit der SS - Führung gegen­über war die Vorbedingung für die eigene Sicherheit, aber der Berufsverbrecher stieß auf Opposition bei dem Kommu­nisten, wenn er das Lebensrecht des Einzelnen zu sehr be­schnitt, und der Kommunist begegnete dem Widerstand des Berufsverbrechers, wenn er Parteifreunde begünstigte. Was die Haltung gegenüber dem SS - Regime anlangt, unterschie­den sich die beiden Kategorien voneinander, aber beider Haß war gleich stark und ihr Verlangen, die Tyrannei zu über­listen, gleich heftig. Warum sollte der Kommunist den Berufsverbrecher daran hindern, aus dem Vorratsraum der SS zu stehlen, wenn dadurch die nationalsozialistische Wirt­schaftsführung geschädigt wurde? Und warum sollte der Berufsverbrecher die kommunistischen Sabotageversuche an diesem Sklavensystem übelnehmen?

Die gegenseitige Eifersucht war heftig und die wechsel­seitige Verachtung keineswegs gering, denn beide Teile hat­ten Angst, von den anderen verraten zu werden, weil beide

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